Medizin | Pflege

Erstaunlich real – Virtual Reality in der Psychotherapie

Was bei Computerspielen für atemberaubende Erlebnisse sorgt, eröffnet auch neue Möglichkeiten in der Medizin: die künstlich erzeugte Wirklichkeit, genannt Virtual Reality. In vielen anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Ausbildung von Piloten, ist ihr Einsatz längst Standard. So wird in der künstlich erzeugten Realität das Verhalten in bestimmten Flugsituationen erprobt.

Das Anwendungspotenzial ist groß – in der Medizin reicht es von der Ausbildung am simulierten Arbeitsplatz oder am virtuellen Patienten über die bildgebende Befundung in 3D-Darstellung und präzise OP-Planung bis hin zu Behandlungsmöglichkeiten in der Psychiatrie und Psychotherapie.

Letztere wurden nun am GLG Martin Gropius Krankenhaus erfolgreich erprobt. Patienten, die zum Beispiel unter Ängsten und Belastungsstörungen leiden, können in der virtuellen Realität in entsprechende Angst auslösende Situationen versetzt werden. Die Patienten trainieren den Umgang mit ihren Gefühlen, der Therapeut steuert das Setting.

Der Schlüssel zur anderen Wirklichkeit ist eine VR-Brille. Über zwei hochauflösende Displays werden darin Bilder gezeigt, die den Nutzer in einen 360-Grad-Rundumblick versetzen. Weitere Geräte, wie zum Beispiel Datenhandschuhe, ermöglichen Interaktionen in der künstlichen Umgebung. So besteigen Menschen mit Höhenangst einen Turm, andere mit Beschwerden bei räumlicher Enge oder ungewollter Nähe von Personen fahren beispielsweise in der überfüllten U-Bahn.

Die virtuelle Therapie arbeitet mit den gleichen Prinzipien wie die konventionelle: Der Patient wird mit seinen Ängsten konfrontiert. Auch Süchte und psychosomatisch bedingte Schmerzen lassen sich nach vorliegenden Erfahrungen gezielt behandeln.

Carolin Müller

Öffentlichkeitsarbeit

GLG Gesellschaft für Leben und Gesundheit mbH

Menschen, die unter Angststö­rungen leiden, kommen mit solchen Situationen meist schwer zurecht

Wenn Ängste die Kontrolle übernehmen

Ängste sind eigentlich normal und sogar lebensnotwendig! Sie warnen uns bei drohender Gefahr und haben damit eine wichtige Schutzfunktion. Anders ist das bei einer Angststörung. Die Betroffenen erleben Angst sehr intensiv, wobei ihre Ängste in keinem angemessenen Verhältnis zu der Bedrohung stehen. Sie erkennen unter Umständen sogar die Unbegründetheit ihrer Angst und können diese trotzdem nicht abstellen.

»Eine Angsterkrankung oder Angststörung kann sich mehr und mehr verselbstständigen«, sagt Dr. Sebastian Erbe, Leitender Oberarzt und Stellvertretender Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am GLG Martin Gropius Krankenhaus. »Es kommt zur Angst vor der Angst. Als Folge werden Angst auslösende Orte und Situationen gezielt vermieden und die Betroffenen ziehen sich immer mehr zurück, leiden unter mangelndem Vertrauen in die eigene Stärke und unter einem Gefühl des Ausgeliefertseins.«

Angst auslösende
Situationen

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Ein leerer Raum
kann ebenso bedrohlich wirken wie ein gefüllter Konferenzsaal.

Auf dem U-Bahnhof
sieht man sich plötzlich mit solch einer Lage konfrontiert: Da kommen Polizisten auf einen zu, verlangen den Ausweis, oder jemand im Abteil benimmt sich provokativ.

Für Menschen,
die unter Angststörungen leiden, sind solche Situationen eine ernste Herausforderung.
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Situationen individuell dosieren

Als besonders wirksame Methode zur Bewältigung von Ängsten hat sich die kognitive Verhaltenstherapie erwiesen, ergänzt durch Medikamentengabe und Entspannungsverfahren. »Bei diesem Therapieansatz geht es vor allem darum, sich den angstbezogenen Situationen oder Reizen zu stellen und zu lernen, mit ihnen umzugehen, sodass die Angst mit der Zeit abklingt«, erläutert der erfahrene Arzt Dr. Sebastian Erbe.

»Jemand hat zum Beispiel Angst, mit der U-Bahn zu fahren oder in einen Fahrstuhl einzusteigen. Er stellt sich lebhaft vor, dass die U-Bahn im Tunnel stehen oder der Fahrstuhl stecken bleiben und womöglich dann noch ein Feuer ausbrechen könnte. Oder jemand anderes ist noch da, der in irgendeiner Form bedrohlich wirkt, angsteinflößend sozusagen. Im Lauf der Therapie gelingt es, Schritt für Schritt diese überzogenen Befürchtungen abzubauen.«

Trainiert werden kann das durch die Konfrontation mit der Angst auslösenden Situation. Wird diese virtuell erzeugt, so lässt sie sich vom Therapeuten bestens steuern. »Wir müssen nicht die Siegessäule in Berlin besteigen, um einen Patienten mit Höhenangst diesem Reiz auszusetzen, wir können das ungestört in unserem Therapieraum mit der VR-Brille tun«, so Dr. Sebastian Erbe.

Kognitive
Verhaltenstherapie

Das Konzept
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Konfrontation mit der Angst auslösenden Situation
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Lernen des Umgangs mit herausfordernden Situationen und Abbau der Angst
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Forschungsergebnisse in
innovativen VR-basierten Produkten

Bei der virtuellen Form des Expositionstrainings – wie die Therapieform genannt wird – hat es der Therapeut in der Hand, die Situation für den Patienten passend zu gestalten und die Angstreize genau zu dosieren. Das Unternehmen neomento aus Berlin hat dafür eine Reihe von Szenarien entwickelt. Bei der jungen Firma handelt es sich um eine Ausgründung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, einer Forschungseinrichtung innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft.

»Wir transferieren neueste Forschungsergebnisse in innovative VR-basierte Produkte für eine hochwertige und wirksame Behandlung psychischer Erkrankungen«, erklärte Prof. Thomas Wolbers, wissenschaftlicher Leiter des neomento-Teams bei der Auftakt- und Einführungsveranstaltung der VR-Therapie im GLG Martin Gropius Krankenhaus im vergangenen Herbst.

»Unser interdisziplinäres Team vereint technische, medizinische und neurowissenschaftliche Kompetenzen. Wir entwickeln unsere Produkte Hand in Hand mit unseren Kooperationspartnern aus der Praxis, so auch mit der Eberswalder Klinik.«

Virtuelles Expositionstraining

VR-basierte Therapieform
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hochwertige und wirksame Behandlung psychischer Erkrankungen
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virtuelle Dosierung der Situationen und somit der Angstreize nach therapeutischen Gesichtspunkten
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entwickelt in Zusammenarbeit mit neomento
nach aktuellsten technischen, medizinischen und neurowissenschaftlichen Kompetenzen
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auch Süchte und psychosomatisch bedingte Schmerzen sind gezielt behandelbar
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Patienten nehmen die VR-Therapie gut an

Nach ersten Erfahrungen nehmen die Patienten die VR-Therapie sehr gut an. Sie bietet den großen Vorteil, dass sie im geschützten Raum stattfinden kann. Man muss nicht wirklich hinaus auf einen Platz oder mit der U-Bahn fahren. Nebenbei spart man damit natürlich auch Zeit. Dr. Sebastian Erbe weiß von einem Patienten zu berichten, der bei der ersten VR-Therapiesitzung so stark geschwitzt hat, dass davon die Brille beschlagen ist.

»Er hat vor Aufregung gezittert, so real empfand er die Situation. Auch wenn natürlich jeder erkennt, dass die virtuelle Realität grafisch angelegt ist, so hat sie doch eine erstaunlich identische Wirkung«, erinnert er sich. »Das Angstsystem ist ein sehr primitves System. Es lässt sich leicht aktivieren. Das ist ja letztlich auch das Problem der Angststörung.«

Vorteile der VR-Therapie
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geschützter
Raum und Rahmen
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Zeitersparnis
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rbb-Reportage
zum Video >>
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11 | 2022
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