Wenn sich niedergelassene Haus- oder Fachärzte in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden, hinterlassen sie immer häufiger eine Lücke – besonders in ländlichen Gemeinden. Das betrifft auch den Landkreis Darmstadt-Dieburg. »Von 150 niedergelassenen Hausärzten werden bis 2030 etwa 100 Ärzte in den Ruhestand gehen, die ersetzt werden müssen«, sagt Pelin Meyer, juristische Betriebsleiterin der Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg. Mit dem »Versorgungskonzept 2025« hat der Landkreis ein ganzes Paket an Lösungen gegen den drohenden Ärztemangel geschnürt, um die ländliche Gesundheitsversorgung nachhaltig zu sichern.
Der Landkreis ist Träger der Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg sowie der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in der Region. Um die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, setzt der Landkreis Darmstadt-Dieburg seit Jahren auf die Bündelung von Arztstellen in den MVZs. »Eine notwendige Maßnahme war es, Arztpraxen zu übernehmen, deren Inhaber in den Ruhestand gehen möchte und keinen Nachfolger gefunden hatte«, sagt Pelin Meyer, die auch Geschäftsführerin der Medizinischen Versorgungszentren ist. Ein gelungenes Beispiel ist das hausärztliche-internistische MVZ mit insgesamt 6 Ärzten verteilt auf 4 Vertragsarztsitze. Personell sind die MVZs gut aufgestellt: In einigen Fällen sind die in den MVZs tätigen Ärzte zusätzlich an den Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg tätig. Nach Aussage von Landrat Klaus Peter Schellhaas braucht ein dynamischer und gleichzeitig ländlich geprägter Wachstumskreis wie der Landkreis Darmstadt-Dieburg jedoch umfangreichere Lösungsstrategien – bereits im Februar 2015 stellte er deshalb dem Kreisparlament und der Öffentlichkeit das Positionspapier »Zukunft Gesundheit – Gemeinsam medizinische Versorgung und Pflege sichern im Landkreis Darmstadt-Dieburg« vor. Inhalt des 70-seitigen Planungspapiers: die zukunftssichere Gestaltung der gesundheitlichen Basisversorgung im Landkreis Darmstadt-Dieburg.
Katja Ehrhard
Leitung Marketing
Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg
Linda Schiffler, Leitende MFA mit einer Patientin im Zentrum der medizinischen Versorgung Darmstadt-Dieburg, Fachrichtung Orthopädie und Neurochirurgie
»Haus- und Facharztmangel, Pflege im Alter, die Einbindung der stationären Krankenhäuser – wir stehen vor komplexen Aufgaben für unsere ländliche Gesundheitsversorgung«, fasst Landrat Klaus Peter Schellhaas Hintergrund und Ziel des Konzepts zusammen. Am Konzept arbeiten lokale Experten zusammen mit Mitarbeitern der Hamburger Beratungsfirma OptiMedis. Das Konzept wurde in vier Teilprojekte aufgeteilt und folgende wichtige Handlungsfelder definiert: »Sicherung der Grundversorgung«, »Geriatrische Versorgung«, »Versorgung psychisch Erkrankter« und »Sektorübergreifende Kooperation«. Der wichtigste Lösungsansatz: Erstmals werden diese Bereiche nicht isoliert betrachtet, sondern miteinander verknüpft. Bereits vorhandene gute Versorgungsstrukturen im Landkreis sowie die bereits gegründeten kreiseigenen Medizinischen Versorgungszentren werden gebündelt und in Richtung einer fach-, berufs- und sektorübergreifenden Versorgung zum Nutzen der Patienten weiterentwickelt.
Die Bevölkerung im Landkreis Darmstadt-Dieburg wird in den kommenden Jahren in einigen Gemeinden wachsen, in anderen schrumpfen. Jedoch wird im Jahr 2030 fast jeder fünfte Einwohner im Landkreis zwischen 65 und 79 Jahren alt sein. Der Pflegebedarf steigt, altersbedingte und chronische Erkrankungen nehmen zu – neue Modelle der haus- und fachärztlichen Grundversorgung sind gefragt. Einer der innovativen Ansätze sind die sogenannten Primärversorgungszentren (PVZ). Diese sind nach dem Vorbild von Medizinischen Versorgungszentren gestaltet – mit einem wichtigen Unterschied: Sie bündeln nicht nur unterschiedliche ärztliche, sondern auch pflegerische und andere gesundheitliche Fachdisziplinen und Leistungsangebote unter einem Dach. Dieser multiprofessionelle Versorgungsansatz macht insbesondere die Versorgung chronisch kranker und/oder älterer Patienten einfacher. Speziell junge Ärzte, die oft ein Angestelltenverhältnis der Selbstständigkeit vorziehen, profitieren vom Organisationsmodell der PVZ. Das bestehende hausärztlich-internistische MVZ in Ober-Ramstadt wird zu einem solchen PVZ weiterentwickelt und soll als Nukleus für den Landkreis wirken.
Die Zahl der Patienten mit typischen altersbedingten Erkrankungen wird stark zunehmen. Ihre Versorgung ist mit erheblichem Leistungs- und Koordinationsaufwand verbunden. Ebenso essenziell ist daher die effiziente Gestaltung des geriatrischen Versorgungspfades, der die Hausarztpraxen mit geriatrischem Schwerpunkt mit den anderen Praxen der Region verbindet. Der Versorgungspfad sieht einheitliche Instrumente und eine klare Aufgabenverteilung aller beteiligten medizinischen Experten vor.
In einer weiteren Ausbaustufe beinhaltet das Konzept eine sogenannte psychosoziale Clearingstelle: Diese soll Hilfesuchende zügig mithilfe telefonischer und persönlicher Beratung in die richtige Versorgungsform lenken. Die Stelle soll hierbei auch Ansprechpartner für niedergelassene Hausärzte sein, die Patienten an diese verweisen können. Eine solche Clearingstelle würde zunächst in einer Teilregion des Landkreises als Pilotprojekt aufgesetzt werden, um die Akzeptanz und den Bedarf zu testen.
Eine bessere sektorübergreifende Kooperation zwischen haus- und fachärztlichen Praxen im gesamten Landkreis und den Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg soll dazu führen, dass Synergien entstehen, Reibungsverluste zwischen allen Beteiligten vermieden und damit gemeinsam junge Ärzte gewonnen werden. Denn nach Meinung des Landrates werden die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinschaftlich ambulant/stationär zu lösen sein.
Ganzheitliche Betrachtung
der vier Bereiche
-----
Sicherung der Grundversorgung
-----
Geriatrische Versorgung
-----
Versorgung psychisch Erkrankter
-----
Sektorübergreifende Kooperation
-----
Team des Zentrum der medizinischen Versorgung Darmstadt-Dieburg (MVZ) GmbH, Fachrichtung Orthopädie und Neurochirurgie
Dr. Melanie Kebernik, Fachärztin für Neurochirurgie
Die vier genannten Aufgabenfelder »Sicherung der Grundversorgung«, »Geriatrische Versorgung«, »Versorgung psychisch Erkrankter« und »Sektorübergreifende Kooperation« münden in das »Versorgungskonzept 2025«. Basis dieses integrierten Versorgungsmodells sind die stationären medizinischen Einrichtungen des Landkreises Darmstadt-Dieburg, wie etwa die Kreiskliniken oder auch die MVZ, mit denen bereits verschiedene Arztsitze gesichert werden konnten. Ebenso zählen die bestehenden guten ambulanten haus- und fachärztlichen Strukturen dazu.
Nach Erörterung durch die fachlichen und politischen Gremien erfolgen im nächsten Schritt die Umsetzung und Begleitung des Versorgungskonzepts – koordiniert durch den Landkreis Darmstadt-Dieburg als Betreiber wichtiger Versorgungseinrichtungen und unter Beteiligung der relevanten Zielgruppen. Hierzu sollen zwei Gremien gegründet werden.
Ein regionaler Beirat, bestehend unter anderem aus den Vertretern der Gemeinden des Kreises und Experten der Region, soll lokale Versorgungslücken frühzeitig identifizieren und dagegen Strategien und Maßnahmen entwickeln. »Bei Problemen in der Gesundheitsversorgung wenden sich die Bürger und Bürgerinnen als erstes an ihre eigene Gemeinde. Mir ist es deswegen ein Anliegen, die Gemeindevertreter in die Gestaltung einzubinden«, erläutert Landrat Klaus Peter Schellhaas.
Hinzu kommt ein Fachbeirat als Experten- und Beratungsgremium, bestehend unter anderem aus Vertretern des Kreistages und Gesundheitsdienstleistern aus der Region, die das Projekt fachlich begleiten und weiterentwickeln sollen.
Wir haben bereits Strukturen geschaffen, über die andere Landkreise jetzt erst anfangen nachzudenken
Der Landkreis sieht sich mit seinem Versorgungskonzept gut aufgestellt: »Wir haben bereits Strukturen geschaffen, über die andere Landkreise jetzt erst anfangen nachzudenken«, sagt Pelin Meyer. Im Jahr 2030, wenn der Ärztemangel akut werde, sei es zu spät, darüber nachzudenken. Mit dem Versorgungskonzept seien nach Aussage des Landrates rechtzeitig die richtigen Weichen gestellt worden für eine umfassende wohnortnahe medizinische Versorgung für die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Darmstadt-Dieburg.